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20. September 2012 — By Hauke Hagen

Von Zombies und Storytelling

Film schauen? Nö. Game zocken? Nej. Hätte gerne ein bisschen von beidem, bidde. Früher, gegen Ende der 90er Jahre, habe ich Games nicht nur gezockt. Ich habe meinem Bruder verdammt gerne beim Zocken zugeschaut. Am besten eigneten sich dafür schon immer Adventures. Diejenigen mit einer grandiosen Story und gefühlt unendlich langer Spielzeit. Ein Spiel, an […]

The Walking Dead

Film schauen? Nö. Game zocken? Nej. Hätte gerne ein bisschen von beidem, bidde.

Früher, gegen Ende der 90er Jahre, habe ich Games nicht nur gezockt. Ich habe meinem Bruder verdammt gerne beim Zocken zugeschaut. Am besten eigneten sich dafür schon immer Adventures. Diejenigen mit einer grandiosen Story und gefühlt unendlich langer Spielzeit. Ein Spiel, an dass ich mich sehr gut erinnere ist das Action-Adventure-Game Terranigma, welches im Dezember 1996 für die SNES Konsole nach Europa kam. Brilliante Story, grandiose Musik, genialer Mix aus Action und Rätsellösen, für den damaligen Zeitpunkt grafisch mehr als ansprechend.

Aber wer kommt heutzutage schon auf die Idee, ein Single-Player-Game nicht zu zocken, sondern es zu schauen wie einen guten Film? Vor ein paar Tagen stieß ich beim Surfen im Netz zufällig auf eine Meldung zu einem Spiel, welches in Episodenform angelegt und auf Erzählen einer Story fokussiert sei. Telltale – schon beim Namen der Gameschmiede kann man erahnen, worauf der Fokus ihrer Kreationen liegt. Eine kurze Weile später hatte ich The Walking Dead auf meinem Rechner installiert.

Optisch erscheint das Game trotz Dreidimensionalität in einem ansehnlichen Comic-Style, der mich beim ersten Betrachten spontan an den Shooter XIII erinnert. Wie die gleichnamige TV-Serie basiert The Walking Dead auf den Comics von Robert Kirkman. Die Story spielt in der gleichen Welt, hat abgesehen von vereinzeltem Auftauchen einiger Charaktere des Comics aber keinen unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang zum Original.

Als Spieler schlüpft man in die Rolle des Geschichtsprofessors Lee Everett, der des Mordes beschuldigt wird. Beim Transport ins Gefängnis gerät der bereits verurteilte Lee in einen Unfall: Der Polizeiwagen kommt von der Straße ab und unsere Hauptfigur findet sich ganz plötzlich inmitten einer Zombie-Apokalypse wieder. Auf der Suche nach Überlebenden stößt Lee auf die achtjährige Clementine, für die er im weiteren Spielverlauf die Verantwortung übernimmt. Auf ihrem Weg aus dem von Zombies verseuchten Vorort treffen die beiden schnell auf weitere Überlebende, die ebenfalls einen Ausweg aus der Situation suchen.

Nun aber zum entscheidenden Faktor: Das Interessante an The Walking Dead sind nicht unbedingt Zombies. Wer lediglich ein munteres Abmetzeln der gehirnefressenden wandelnden Toten erwartet wird enttäuscht. Die Story macht den Mix aus Film und Game perfekt. Cutszenen zum Zuschauen reihen sich an ruhige Spielszenen im Point&Click-Adventure-Stil und actiongelandene Sequenzen, in denen schnelle Reaktion gefragt ist oder Dialoge mit Zeitbeschränkung bei der Wahl der Antwort einen kühlen Kopf fordern. An den logischen Rätseln in ruhigen Spielphasen beißt man sich keinesfalls die Zähne aus. Spannend wird es bei spontanen wichtigen Entscheidungen, die den weiteren Spielverlauf beeinflussen und die Story in bestimmte Richtungen lenken. So kommt es beispielsweise vor, dass man sich bei der Rettung vor den Zombies für das Leben einer Person entscheiden muss, was unweigerlich den Tod einer anderen Person zur Folge hat. Im Fokus stehen vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen der Überlebenden untereinander und deren unterschiedliche Charaktere. Wie in einem guten Film offenbaren sich die Vorgeschichten und Absichten der verschiedenen Haupt- und Nebencharaktere erst im Laufe des Spiels.

Je unwichtiger ein lineares Fernsehprogramm wird, desto spannender werden filmähnliche Gaming-Formate, bei denen wir den Ausgang einer interaktiven Story beeinflussen können und selbst darüber entscheiden, wann die Handlung weitergeht. Die Nähe von The Walking Dead zu einem TV-Format wird noch deutlicher, sobald man sich den Aufbau des Spiels anschaut. Es besteht aus fünf Episoden, die wie Staffeln einer Serie über einen bestimmten Zeitraum veröffentlicht werden. Derzeit steht die dritte von fünf Episoden kurz vor der Veröffentlichung. Die Spieldauer einer Episode ist in etwa mit dem Sehen eines Kinofilms mit Überlänge zu vergleichen: Die ersten beiden Episoden habe ich in knapp fünf Stunden durchgespielt.

Fünf Kinofilme – nein, gar eine interaktive Pentalogie – für knapp 21 Euronen. Für Storytelling-Freunde wie mich auf jeden Fall ein grandioser Deal. Freue mich auf die übrigen Episoden und auf den weiteren Ausbau des Genres.

Anbei ein paar durchaus sehens- und lesenswerte weiterführende Informationen, auf die ich bei meiner Recherche gestoßen bin:

Das Game im TWD-Universum

Schöpfer Robert Kirkman über die Besonderheiten des Games und dessen Platz zwischen Comic und TV-Serie (Englisch).

Statistiken und Aufbereitung

Nach Abschluss einer TWD-Episode wird ingame stets angezeigt, welcher Anteil aller Gamer bei den wichtigen, spielbeeinflussenden Entscheidungen welche Wahl getroffen hat. Aber auch außerhalb des Games macht sich Gameschmiede Telltale gut darin, interessante Statistiken schön aufzubereiten. Auf dem eigenen Blog (Englisch) finden sich regelmäßig kleine YouTube-Clips mit Statistiken, Trailern und sonstigen Blicken hinter die Kulissen.

Ein neuer Helden-Typ

Hauptcharakter Lee Everett unterscheidet sich als “nice guy” deutlich von den üblichen Gaming-Helden, bei denen Stärke und Arroganz eine große Rolle spielen. Einen ausführlichen Text zum Hauptcharakter von The Walking Dead gibt’s bei IGN zu lesen (Englisch).